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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Erst Mutter, dann Gründerin

30.07.2015

Ein Gespräch mit Dr. Rosemarie Kay, stellvertretende Geschäftsführerin des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn (IfM), und Olga Suprinovič, seit 2005 Mitarbeiterin am IfM.

©Fotolia / Coloures-pic

LIfBi: Sehr geehrte Frau Kay, sehr geehrte Frau Suprinovič, Sie forschten mit NEPS-Daten zu erwerbsbiografischen Einflüssen auf das Gründungsverhalten von Frauen – bevor wir allerdings in die Tiefe gehen: Was ist eine Gründerin, was ist ein Gründer überhaupt?

Suprinovič: Es gibt unterschiedliche Definitionen von einer Gründung. Wir betrachten eine Gründung als die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch eine Person. Die Aufnahme einer freien Mitarbeitertätigkeit zählt hier ebenfalls dazu.

LIfBi: Wer einmal gründet, bleibt Gründerin bzw. Gründer?

Kay: Offensichtlich nicht, wie unsere Analysen gezeigt haben. Das wussten wir allerdings vorher schon. Es gibt ja eine ganze Reihe von Studien, die sich mit der Frage befassen, wie lange ein gegründetes Unternehmen auf dem Markt bleibt. Als Faustregel zeigt sich, dass fünf Jahre nach der Gründung etwa die Hälfte der Unternehmen nicht mehr auf dem Markt ist. Es kann natürlich sein, dass ich, wenn ich mit einem Unternehmen gescheitert bin, im unmittelbaren Anschluss ein neues Unternehmen gründe. Der größere Teil gründet hingegen nur einmal und kehrt im Falle eines Scheiterns zumeist in die abhängige Beschäftigung zurück.

Andererseits gibt es aber auch Personen, die mit einer Selbstständigkeit „ins Berufsleben“ starten, indem sie beispielsweise ein Unternehmen übernehmen und bis zum Ende ihres Berufslebens dabei bleiben. Das Bild ist also durchaus sehr vielfältig. Das hat unsere Studie als Nebenprodukt gezeigt. Manche Dinge hat man schon geahnt, die Vermutungen wurden durch die Betrachtung in der Lebensverlaufsperspektive mit den NEPS-Daten meistens bestätigt.

„Frauen machen sich beruflich wesentlich seltener selbstständig.“LIfBi: Wenn Sie nun anhand der Daten der NEPS-Erwachsenenstudie, die ja die Biografien von Männern und Frauen abbilden, das Gründungsverhalten beider Geschlechter vergleichen, wo ist der Unterschied im Zugang zur Unternehmerexistenz zwischen Frauen und Männern zu finden?

Kay: Ich befasse mich seit fast 30 Jahren mit „Gründungen von Frauen“, da Frauen sich beruflich wesentlich seltener selbstständig machen als Männer. Das ist historisch über lange Zeit zu beobachten und gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für viele andere Länder.
Über die Jahre hinweg haben sich verschiedene Aspekte herauskristallisiert, die dafür eine Rolle spielen. Zum Beispiel das, was in der Ökonomie Sozial- und Humankapital genannt wird. Beides ist durch Erwerbsunterbrechungen bedroht, sei es durch die Schwächung von Netzwerken, sei es durch die Entwertung von Qualifikationen über die Zeit.

LIfBi: Eine Ihrer Grundthesen ist: Erwerbsunterbrechungen vermindern das Humankapital und dieses verminderte Humankapital versperrt dann die Wege zurück in abhängige Beschäftigung. Somit bahnt dieser Verlust an marktgängiger Qualifikation die Wege in berufliche Selbstständigkeit?

Kay: Das kam heraus. Vermutet hatten wir etwas anderes. Vermutet hatten wir, dass die Humankapitalverluste stärker negativ wiegen für den Schritt in die Selbstständigkeit als für die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung, sie also die Gründungswahrscheinlichkeit senken. Herausgekommen ist aber das Gegenteil.

„Ein Einschnitt im Familienstand stellt häufiger ein Gründungsmotiv dar.“LIfBi: Gründungen bei Frauen sind in einem relativ hohen Lebensalter wieder gehäuft zu beobachten, insbesondere nach der „Familienphase“. Wie ist das zu verstehen?

Suprinovič: Die Gründung nach der Familienphase tritt nach unseren Analysen wirklich sehr häufig auf, typischerweise bei den Frauen mit betrieblichen Ausbildungen. Bei höher qualifizierten Frauen ist das etwas anders. Das Ganze ist vor dem Hintergrund der institutionellen Rahmenbedingungen in Deutschland zu sehen. Ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten stehen nach wie vor noch nicht flächendeckend zur Verfügung. Da hoch qualifizierte Frauen höhere Opportunitätskosten von Familienzeiten haben, möchten sie früher wieder in den Beruf zurück und können sich auch mit ihrem zumeist höheren Einkommen eher Kinderbetreuungen leisten als Frauen mit geringerer Qualifikation.

LIfBi: Wenn ich hier in Ihrer Studie sehe, dass Frauen am Ende ihres vierten Lebensjahrzehnts häufig in die Selbstständigkeit eintreten - das sieht man ja in Ihren Verlaufsanalysen sehr gut - frage ich mich, ob in diesen Fällen im familiären Zusammenhang vielleicht in der Zwischenzeit ein „kritisches Lebensereignis“ wie eine Trennung oder ähnliches eingetreten ist. Ging die Familienphase vielleicht dadurch zu Ende? Das wäre ja ein beachtlicher Push-Faktor für eine Gründung. Geben die Daten derartige Zusammenhänge her?

Suprinovič: Unsere Studie gibt darüber keine Auskunft, das haben wir uns nicht angeschaut. Der Familienstatus, also das Vorhandensein eines Partners, wird in den Daten ja durchaus miterfasst. Wir haben auch Partnerdaten mitanalysiert. Aber das beantwortet ja leider nicht Ihre Frage.

Kay: Ich denke, Sie haben bis zu einem gewissen Grad recht. Wenn ich mich an frühere Untersuchungen erinnere, stellte bei Frauen vor allem älterer Jahrgänge ein Einschnitt im Familienstand häufiger ein Gründungsmotiv dar: Entweder eine Verwitwung (Nachfolge des Mannes) oder eine Scheidung (Notwendigkeit, Geld heranzubringen). Eine Ursache für die Gründungshäufigkeit ab einem Alter von 40 Jahren ist sicher auch, dass wieder mehr Zeit verfügbar ist, je größer die Kinder werden. Obendrein versuchen auch einige Frauen mit 40 wieder in das Erwerbsleben einzusteigen und laufen gegen eine Wand. Aus der Not heraus gehen diese dann auch den Weg in die Selbstständigkeit.

„Das male breadwinner-Modell ist mittlerweile empirisch überholt.“LIfBi: Gibt es im Gründungsverhalten der Frauen Unterschiede zwischen einzelnen Geburtskohorten, spielt es also eine Rolle, wann die Frauen geboren sind?

Suprinovič: Es gibt einige Hinweise darauf, dass das Gründungsverhalten sich tatsächlich ändert. In einer Verlaufsanalyse hatten wir festgestellt, dass die durchschnittliche Anzahl der Gründungen steigt, je jünger die Geburtskohorten sind. Und das, obwohl die jüngeren Kohorten weniger Zeit hatten, um sich selbstständig zu machen.

LIfBi: Von Kohorte zu Kohorte wird also mehr in jüngeren Jahren gegründet?

Beide: Ja.

Suprinovič: Der Trend zur mehrfachen und zur jüngeren Gründung zeigt sich durchaus.

Kay: Darin spiegelt sich auch etwas davon wider, dass die Lebensmodelle von Frauen sich über die betrachteten Kohorten hinweg geändert haben. Das „male breadwinner“-Modell mit dem männlichen Ernährer ist mittlerweile auch empirisch überholt. Heutzutage besteht bei Frauen nur noch selten die Bereitschaft, die Erwerbstätigkeit aufgrund familiärer Verpflichtungen für beispielsweise zehn Jahre zu unterbrechen.

LIfBi: Was war für Sie die spannendste Erkenntnis?

Suprinovič: Für mich persönlich war das Ergebnis sehr spannend, dass die gesetzlich geregelten familienbedingten Erwerbsunterbrechungen keinen signifikanten Effekt auf die Gründungswahrscheinlichkeit haben. Ich hatte angenommen, dass Beschäftigungsgarantien einen negativen Effekt auf die Gründungswahrscheinlichkeit haben, da die Frauen durch die Beschäftigungsgarantie leichter in die abhängige Beschäftigung zurückkehren können. Das zeigt sich aber nicht und ich fragte mich, was sich dahinter verbirgt. Zum einen wird die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit einen positiven Einfluss auf die Gründungswahrscheinlichkeit haben. Zum anderen aber wohl auch, dass Frauen gelegentlich aufgrund ihrer familiären Situation diskriminiert werden – das kann sehr unterschiedliche Formen annehmen – und nach Alternativen suchen. Gerade hoch qualifizierte Frauen, die etwas erreichen möchten, sehen in der Selbstständigkeit eine Chance, der Arbeitsmarktdiskriminierung zu entgehen.

Kay: Ein paar der deskriptiven Ergebnisse hatte ich auch sicher nicht so erwartet: Dass Frauen sich heutzutage häufiger mehrfach selbstständig machen, dass die Selbstständigkeitsepisoden kürzer werden, überhaupt die heftige Turbulenz im Erwerbsverlauf der Frauen.

LIfBi: Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Turbulenzen wahrscheinlich bestehen bleiben und die heute jungen Frauen wohl noch einiges vor sich haben.

Kay: Wir müssen abwarten. Lange Zeit hatten wir ein Überangebot an Arbeitskräften. Jetzt führt uns der demografische Wandel in eine andere Phase ein. Die Angebot-Nachfrage-Verhältnisse kippen in einigen Bereichen bereits um, die Arbeitskräfte gewinnen auf diese Weise wieder an Macht hinzu. Ich denke daher durchaus, dass sich die Muster der 1980er, 1990er und 2000er Jahre nicht zwingend in den 2010er oder 2020er Jahren fortsetzen werden. Was die besseren öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten gekoppelt mit den stärkeren Anstrengungen von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für sich zu gewinnen und an sich zu binden, für die Erwerbsverläufe von Frauen, aber auch für deren Gründungsverhalten bedeuten, wird man sehen müssen.

LIfBi: Frau Kay, Frau Suprinovič, vielen Dank für dieses Gespräch und die spannenden Ergebnisse!

Der Beitrag erschien in der Ausgabe Nr. 230 der IfM-Materialien, Institut für Mittelstandsforschung, September 2014 und ist hier als PDF-Datei abrufbar.

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