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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Begünstigen einheimische Freunde die Integration von jugendlichen Migrantinnen und Migranten in Deutschland?

22.04.2016

Inwieweit der Anteil an einheimischen Freunden zur Identifikation mit dem Aufnahmeland beiträgt, ist von Migrantengruppe zu Migrantengruppe unterschiedlich. Für fast alle der untersuchten Migrantengruppen gilt jedoch: Jugendliche, die sich stark mit der eigenen Herkunftsgruppe identifizieren, empfinden gleichzeitig eine weniger starke Bindung zu Deutschland.

©Colourbox

Zuwanderung ist – historisch gesehen – ein bekanntes Phänomen und auch aktuell hoch brisant. Nicht selten bringt dieses Thema auch die Frage nach der Identifikation von Migrantinnen und Migranten mit dem jeweiligen Aufnahmeland mit sich. Viele Studien finden einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil an einheimischen Freunden und der Identifikation mit dem Aufnahmeland. Allerdings ist anzunehmen, dass dieser Zusammenhang je nach Migrantengruppe unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann und zwar in Abhängigkeit von spezifischen Merkmalen der jeweiligen Migrantengruppe und von den sozialen Rahmenbedingungen im Aufnahmeland. Ein Faktor kann hier zum Beispiel die (wahrgenommene) Diskriminierung und Zurückweisung durch Einheimische sein. Auch die individuell empfundene Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit der ethnischen und nationalen Identität, d.h. der Identifikation mit der eigenen Herkunftsgruppe und der Identifikation mit der Herkunftsgruppe des jeweiligen Aufnahmelandes, können hier eine Rolle spielen.

Benjamin Schulz, Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), und Lars Leszczensky, Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), haben untersucht, inwiefern sich der Zusammenhang zwischen dem Anteil einheimischer, also deutscher Freunde, und der Identifikation mit dem Aufnahmeland, also Deutschland, in den verschiedenen Migrantengruppe unterscheidet. Zur Beantwortung dieser Fragestellung haben die Forscher auf Daten von 2.496 jugendlichen Migrantinnen und Migranten der ersten oder zweiten Generation1 der NEPS-Studie „Schule, Ausbildung und Beruf“ (Klasse 9) zurückgegriffen; erhoben wurden die Daten über Fragebogen im Schuljahr 2011/12. Folgende Migrantengruppen haben die Forscher in die Auswertung einbezogen: Spätaussiedlerinnen bzw. Spätaussiedler2, Jugendliche aus der Türkei, aus Polen, aus Ländern des südlichen Europas (Griechenland, Italien, Spanien und Portugal) sowie Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Auswertung der Daten erfolgte anhand von statistischen Analysen zum Zusammenhang einzelner Merkmale.

Als Ergebnis der Untersuchung steht zunächst, dass sich die untersuchten Jugendlichen – insgesamt gesehen – Deutschland stark zugehörig fühlen. Dabei identifizieren sich insbesondere Spätaussiedlerinnen bzw. Spätaussiedler, aber auch Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Südeuropa umso stärker mit Deutschland, je mehr deutsche Freunde sie haben. Im Gegensatz hierzu besteht bei Jugendlichen aus der Türkei oder Polen kein Zusammenhang zwischen dem Anteil an deutschen Freunden und der Identifikation mit Deutschland. Eine mögliche Begründung für diesen abweichenden Befund bei der Gruppe der türkischen Migrantinnen und Migranten könnte sein, dass türkische Jugendliche aufgrund der hohen (wahrgenommenen) Diskriminierung von Türken in Deutschland die deutsche Identität negativ bewerten. Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass eine starke türkische Identität verbunden mit einer wahrgenommenen Unvereinbarkeit der türkischen und deutschen Identität die Identifikation mit Deutschland verhindern. Dies trifft für alle untersuchten Migrantengruppen – mit Ausnahme der Jugendlichen aus Südeuropa – zu: Jugendliche, die sich stark mit der eigenen Herkunftsgruppe identifizieren, empfinden gleichzeitig eine weniger starke Bindung zu Deutschland. Insbesondere bei polnischen Jugendlichen ist die wahrgenommene Unvereinbarkeit stark ausgeprägt, was sich womöglich – trotz der vielen kulturellen Ähnlichkeiten – auf das historisch begründete, angespannte deutsch-polnische Verhältnis zurückführen lässt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die im Aufnahmeland vorzufindenden ethnischen Grenzen, also die (wahrgenommene) Diskriminierung oder die Vereinbarkeit verschiedener Identitäten, beeinflussen das Ausmaß, zu dem Freundschaften mit Einheimischen die Identifikation mit dem Aufnahmeland fördern. Übertragen auf die politische Praxis kann dieser Prozess positiv mitgestaltet werden, indem etwa versucht wird, (empfundene) Diskriminierungen und die Wahrnehmung der Unvereinbarkeit von Identitäten zu reduzieren und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen zu betonen.


1 Nur Daten von Jugendlichen, die selbst außerhalb Deutschlands geboren wurden oder von denen mindestens ein Elternteil nach Deutschland zugewandert ist, sind in die Berechnungen eingeflossen.

2 „Spätaussiedler sind deutsche Volkszugehörige aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten, die im Wege eines speziellen Aufnahmeverfahrens ihren Aufenthalt in Deutschland begründet haben“ (Definition des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF); Zugriff unter www.bamf.de/DE/Migration/Spaetaussiedler/spaetaussiedler-node.html am 19.02.2016).

Originalliteratur

Schulz, B. & Leszczensky, L. (2016). Native friends and host country identification among adolescent immigrants in Germany: The role of ethnic boundaries. International Migration Review, 50(1), 163–196.

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (2016, April): Begünstigen einheimische Freunde die Integration von jugendlichen Migrantinnen und Migranten in Deutschland? (NEPS Ergebnisse).