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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Probleme mit Gleichaltrigen – Integrationsklassen und Förderschulklassen im Vergleich

14.03.2017

Für Kinder mit einer Lernbeeinträchtigung stellt sich die soziale Teilhabe in einer regulären Schule oftmals problematisch dar. Zudem fällt es ihnen schwerer, diese Probleme durch gutes Sozialverhalten aufzuwiegen: Selbst wenn sich Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigung partnerschaftlich verhalten, bleiben Schwierigkeiten im Klassenverbund oft bestehen.

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An die Schulen in Deutschland wird der Anspruch erhoben, gute Lernbedingungen für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen zu schaffen. Sie sollen nicht nur den Lehrstoff für Kinder optimal vermitteln, sondern möglichst auch das soziale Miteinander fördern – etwa durch die Unterstützung gegenseitiger Toleranz und Kontaktfähigkeit. Diese Aufgabe ist dann von besonderer Bedeutung, wenn es um Integrationsklassen geht, also um den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne diagnostiziertem Förderbedarf, zum Beispiel im Bereich Lernen. Denn nicht selten fällt Kindern mit einer Beeinträchtigung, die eine reguläre Schule besuchen, die Teilnahme am Klassengeschehen schwerer: Sie haben weniger Freunde, seltener Kontakt zu Klassenkameradinnen und -kameraden und fühlen sich häufiger als Außenseiter als Gleichaltrige ohne eine Beeinträchtigung.

Prof. Susanne Schwab (Bergische Universität Wuppertal, Nordwest-Universität Südafrika), Prof. Markus Gebhardt (TU Dortmund), Prof. Marco Hessels (Universität Genf, Nordwest-Universität Südafrika) und Lena Nusser (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) haben in einer aktuellen Studie untersucht, wie häufig solche Probleme in der sozialen Teilhabe bei Schülerinnen und Schülern mit einer diagnostizierten Lernbeeinträchtigung in Integrationsklassen im Vergleich zu Förderschulklassen auftreten. Ein weiterer Vergleich wurde mit den Klassenkameradinnen und Klassenkameraden der inklusiv beschulten Kinder angestellt; mit Kindern also, bei denen keine Lernbeeinträchtigung festgestellt wurde. Anhand von Daten der NEPS-Studie „Schule, Ausbildung und Beruf“ wertete das Forscherteam hierzu Befragungsergebnisse derjenigen 3.900 Fünftklässlerinnen und Fünftklässler aus, zu denen Angaben über den Förderbedarf vorlagen. 280 Kinder besuchten zum Erhebungszeitpunkt eine Integrationsklasse in unterschiedlichen Schulformen, 498 Kinder eine Förderschule. 3.122 Schülerinnen und Schüler haben keinen diagnostizierten Förderbedarf. In der Erhebung wurden die Beteiligten gebeten, sich selbst z. B. in ihrem Verhalten gegenüber anderen Kindern, Eltern und Lehrkräften einzuschätzen und Angaben zu ihrem Freundeskreis zu machen. Die Eltern gaben ebenfalls eine Beurteilung ab, die mit der Einschätzung der Kinder abgeglichen wurde.


Kinder mit Lernbeeinträchtigung erfahren weniger soziale Partizipation

Das Forscherteam fand Anzeichen dafür, dass Schülerinnen und Schüler mit speziellem Förderbedarf häufiger Probleme mit Gleichaltrigen haben, unabhängig von der Tatsache, ob sie eine reguläre oder eine Förderschule besuchten. Zudem fällt es ihnen im Vergleich zu Kindern ohne Förderbedarf sehr viel schwerer, die Kontaktprobleme durch gutes Sozialverhalten aufzuwiegen: Selbst wenn sich Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigung partnerschaftlich verhalten, wenn sie etwa mit anderen teilen oder hilfsbereit sind, bleiben Schwierigkeiten im Klassenverbund oft bestehen. Vermutlich, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, erschweren in solchen Fällen Vorbehalte der Mitschülerinnen und Mitschüler das soziale Miteinander.


Kinder mit Lernbeeinträchtigung überschätzen ihre soziale Teilhabe

Zudem wurden alle Eltern gebeten, das Sozialverhalten ihrer Kinder gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern einzuschätzen. Es zeigte sich, dass – im Vergleich zur Beurteilung durch ihre Eltern –  insbesondere Kinder mit einer Lernbeeinträchtigung Probleme mit Freundinnen und Freunden eher unterschätzen, ihre soziale Teilhabe am Klassengeschehen allgemein jedoch öfter überschätzen. Hingegen stimmten die Einschätzungen von Heranwachsenden ohne Lernbeeinträchtigung mit den Beurteilungen ihrer Eltern deutlich häufiger überein. Die Studie zeigt auch, dass es kaum geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Selbsteinschätzung der Kinder zu ihrer sozialen Teilhabe gibt.

Die Studienergebnisse zeigen, dass das soziale Miteinander in Integrationsklassen nicht in jedem Fall besser läuft. Die Autorinnen und Autoren kommen zu folgender Schlussfolgerung: Angebote, die auf die Verbesserung des Sozialverhaltens ausgerichtet sind, sollten alle Mitschülerinnen und Mitschüler und nicht nur Schülerinnen und Schüler mit Lernbeeinträchtigung einbeziehen. Das fördere einen respektvollen Umgang und ein gutes Klassenklima.

Originalliteratur

Schwab, S., Gebhardt, M., Hessels, M. G. P. & Nusser, L. (2016). Predicting a high rate of self-assessed and parent-assessed peer problems - Is it typical for students with disabilities? Research in Developmental Disabilities, 49-50, 196–204.

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (2017, März): Probleme mit Gleichaltrigen - Integrationsklassen und Förderschulklassen im Vergleich (NEPS Ergebnisse). Bamberg, Deutschland.