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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Typisch Mädchen, typisch Junge? Von wegen!

04.06.2019

Beeinflussen geschlechterstereotype Erwartungen, die Schülerinnen und Schüler verinnerlicht haben, ihre schulischen Leistungen? Eine Analyse mit Daten aus der NEPS-Studie "Bildungsverläufe in Deutschland" zeigt, dass besonders Mädchen, die von der Gleichheit der Geschlechter ausgehen, in Mathematik mit ihren Klassenkameraden gleichziehen.

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Geschlechterrollenorientierung entscheidend für Kompetenzentwicklung

Obwohl die Chancengleichheit der Geschlechter seit Langem auf der Agenda der Bildungspolitik steht, zeigen sich in der empirischen Forschung noch immer altbekannte Ungleichheiten: Mädchen schneiden in Mathematik durchschnittlich schlechter und in Lesekompetenzen besser ab als Jungen. Eine Reihe von Theorien bieten dafür Erklärungen an. Die Erwartungs-Wert-Theorie fasst zentrale Mechanismen zusammen und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Einstellungen gegenüber Geschlechterrollen. Die leitende Hypothese der Untersuchung von Ehrtmann und Wolter lautet: Kinder, die traditionelle Geschlechterbilder übernommen haben, orientieren sich in ihrem Verhalten an geschlechtsstereotypen Erwartungen und geschlechtsspezifischen Unterschieden in schulrelevanten Kompetenzen. Kinder hingegen, die von der Gleichstellung der Geschlechter ausgehen, werden durch Stereotype in Bezug auf schulische Domänen nicht beeinflusst.

Die Untersuchung nutzt Längsschnittdaten der NEPS-Studie "Schule, Ausbildung und Beruf". Die Daten umfassen Ergebnisse von Kompetenzmessungen aus der fünften und siebten Klasse sowie Angaben zur Geschlechterrollenorientierung der Schülerinnen und Schüler in der sechsten Klasse. Insgesamt wurden 3.375 Fälle in die Analyse einbezogen.

Mädchen profitieren von der Orientierung an egalitären Geschlechterrollen

Die Untersuchungsergebnisse zeigen zunächst, dass es bei Jungen und Mädchen zwischen der fünften und siebten Klasse erhebliche Kompetenzzuwächse in Mathematik gab; die Kompetenzzuwächse im Lesen waren weniger stark ausgeprägt. Jungen zeigen im Übrigen eine stärkere Orientierung zu traditionellen Geschlechterbildern als Mädchen.

Die Analysen bestätigen die theoretischen Annahmen und belegen einen Zusammenhang zwischen Geschlechterrollenorientierung und Kompetenzentwicklung. Der Zusammenhang bleibt auch bestehen, wenn Schultyp, Migrationshintergrund und das fachspezifische Interesse der Schülerinnen und Schüler in die Untersuchung einbezogen werden. Insbesondere Mädchen profitieren von der Orientierung an Geschlechtergleichheit: Mädchen mit egalitären Geschlechterrollenorientierungen schließen in Mathematik an die Kompetenzen der Jungen an. Ein vergleichbarer differenzierter Effekt zeigt sich jedoch bei Jungen im Hinblick auf ihre Lesekompetenzen nicht. Das heißt nicht, dass Jungen nicht von einer egalitären Orientierung gegenüber Geschlechterrollen profitieren: Das tun sie durchaus. Der differenzierte Effekt tritt aber nicht zutage, weil Mädchen mit egalitären Orientierungen nicht nur in Mathematik, sondern auch im Lesen stärkere Kompetenzzuwächse aufweisen als Mädchen mit traditionellen Rollenorientierungen. Sie profitieren also insgesamt doppelt in Bezug auf ihre Kompetenzentwicklung.

 

Originalliteratur

Ehrtmann, L., & Wolter, I. (2018). The impact of students' gender-role orientation on competence development in mathematics and reading in secondary school. Learning and Individual Differences, 61, 256–264. doi:10.1016/j.lindif.2018.01.004

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (2019, Juni): Mädchen sind besser im Lesen, Jungs in Mathe - zumindest, wenn sie den traditionellen „kleinen Unterschied“ im Kopf haben (NEPS Ergebnisse kompakt). Bamberg, Deutschland.