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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Schulsystem in Deutschland durchlässiger als angenommen

03.09.2015

Die Bamberger Soziologinnen Prof. Dr. Sandra Buchholz und Antonia Schier haben mit NEPS-Daten untersucht, was soziale Ungleichheit und das Nachholen von Schulabschlüssen im deutschen Bildungssystem miteinander zu tun haben. Das Ergebnis ist überraschend, zeigt aber auch erneut ein altes Problem auf.

Verschiedene Wege führen zu unterschiedlichen Schulabschlüssen. Grafik: Elke Baulig

Dass das deutsche Schulsystem sehr selektiv ist und Ungleichheiten fördert, weiß man nicht zuletzt seit den PISA-Untersuchungen. Immer wieder wird bescheinigt, dass die frühe Entscheidung für eine weiterführende Schule nach dem Ende der vier- bzw. in einigen Bundesländern sechsjährigen Grundschulzeit soziale Ungleichheiten verstärkt. Das Elternhaus ist oft maßgeblich dafür, wer ein Gymnasium, eine Realschule oder eine Hauptschule besucht. Wer sich für eine Schulart entschieden hat, wechselt eher selten in eine andere. Zwar gibt es bereits seit über 50 Jahren die Möglichkeit, nach dem ersten Schulabschluss einen alternativen Abschluss zu erreichen, doch bisher hat sich die Forschung noch wenig mit der Möglichkeit des Nachholens von Schulabschlüssen befasst. Unklar ist, ob die Nutzung von alternativen Bildungswegen zu der erhofften Verringerung von Bildungsungleichheit führt.


Nutzung alternativer Bildungswege
Buchholz und Schier werteten in ihrer empirischen Studie die Daten von 2.200 erwachsenen Befragten der NEPS-Studie aus. All diese Personen hatten entweder einen Hauptschulabschluss oder die Mittlere Reife erworben. Buchholz und Schier untersuchten, wie viele von ihnen danach einen weiteren, höheren Abschluss erreicht haben. Weiterhin untersuchten sie die Noten der Schülerinnen und Schüler sowie den höchsten Bildungsabschluss der Eltern, um Effekte auf die Bildungsungleichheit ermitteln zu können.

Etwa 27 Prozent der Befragten haben den Ergebnissen zufolge nach dem ersten Abschluss einen weiteren erworben – eine erstaunlich hohe Zahl, die auch die beiden Wissenschaftlerinnen überrascht hat. Die meisten schließen direkt an den ersten einen weiteren Schulabschluss an. Der Anteil der männlichen Befragten, die einen weiteren Schulabschluss anstrebten, liegt mit etwa 30 Prozentpunkten sichtbar höher als der der weiblichen Befragten mit 26 Prozentpunkten. In der Gruppe der Hauptschülerinnen und Hauptschüler, die sich für einen weiteren Schulabschluss entschieden, schaffte ein Drittel sogar das Abitur bzw. Fachabitur.


Soziale Herkunft oft entscheidend
All dies zeigt, dass das deutsche Schulsystem deutlich durchlässiger ist als bisher angenommen. Allerdings konnte mit den alternativen Wegen zur Erlangung höherer Schulbildung die ohnehin vorhandene Bildungsungleichheit nicht reduziert werden. Nimmt man den Bildungsabschluss der Eltern in den Blick, werden große Unterschiede deutlich: Je höher der Bildungsabschluss der Eltern, desto höher auch die Chance der Schülerinnen und Schüler, einen weiteren Schulabschluss zu erwerben. Wenn der Schulabschluss niedriger war als der der Eltern, entschlossen sich diese Personen zudem eher, einen höheren Schulabschluss anzustreben.  

Etwa 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler, deren Eltern das Abitur abgelegt hatten, holten einen höheren Schulabschluss nach. Bei den Kindern von Eltern mit einem Hauptschulabschluss lag dieser Wert bei gut 20 Prozent. Die soziale Herkunft spielt neben den guten Noten eine große Rolle bei der Entscheidung für alternative Wege zur Erlangung höherer Schulabschlüsse. Besonders die ohnehin privilegierten sozialen Gruppen nutzen die Aufstiegschancen.

Originalliteratur

Buchholz, S. & Schier, A. (2015). New game, new chance? Social inequalities and upgrading secondary school qualifications in West Germany. European Sociological Review, 31(5), 603–615.

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (2015, August): Schulsystem in Deutschland durchlässiger als angenommen (NEPS Ergebnisse). Bamberg, Deutschland.