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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Zweite Bildungschance für alle? Nicht ganz.

14.12.2016

Kinder aus privilegierten Elternhäusern sind nach wie vor die Gewinner, wenn es um die Abiturquote geht – und zwar auch bei den Quoten nachgeholter Abschlüsse. Anreize zum Nachholen der Hochschulreife steigen jedoch in den letzten Jahren auch für Arbeiterkinder.

©Fotolia / Cherries

Dass in Deutschland der soziale Status der Eltern und der Bildungserfolg ihrer Kinder durchaus noch immer eng zusammenhängen, ist bekannt. Kinder aus privilegierten Elternhäusern besuchen nach wie vor häufiger ein Gymnasium oder eine Hochschule als Kinder aus schlechter gestellten Familien. Um diese Schieflage zu korrigieren, wurden im Zuge der Bildungsexpansion ein Wechsel zwischen den Schulformen erleichtert und mehr Möglichkeiten zum Nachholen von Bildungsabschlüssen geschaffen – etwa in Abendgymnasien, Fachgymnasien und auf dem zweiten Bildungsweg. Doch wie stellte sich die Situation für die Generationen dar, die seit den 70er-Jahren bis heute die Schule durchlaufen haben? Wer profitierte von der Möglichkeit, auf diesen alternativen Wegen eine Hochschulreife nachzuholen – und wer nicht?

Steffen Schindler von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg hat untersucht, wie alternative Wege zur Erlangung der Hochschulreife und soziale Herkunft zusammenhängen. In seinen Analysen nahm Schindler ältere Forschungsdaten und -ergebnisse erneut unter die Lupe, um sie anschließend mit eigenen Berechnungen auf neuer Datenbasis zu vergleichen. Grundlage waren Interviewdaten aus der Deutschen Lebensverlaufsstudie (GLHS), die bereits 1998 in westdeutschen Bundesländern erhoben wurden. Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung befragte damals 2.909 Personen im Alter von 27 bzw. 34 Jahren rückblickend zu ihrem Bildungsverlauf. Datenbasis war zudem die Übergangsstudie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Befragt wurden 7.230 Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren, wobei Schindler zur besseren Vergleichbarkeit Personen unter 20 Jahren von den Analysen ausschließt. Die Befragung fand im Jahr 2006 statt. Neuere Daten stammen aus der NEPS-Erwachsenenstudie; ausgewertet wurden Lebensverläufe von Personen, die zwischen 1944 und 1986 geboren und seit 2007 in regelmäßigen Abständen befragt wurden. In allen Analysen wurden ausschließlich Daten aus den drei Datenquellen miteinander verglichen, die sich auf Bildungswege zur Erlangung der Hochschulreife und auf die Einwohner westdeutscher Bundesländer beziehen.


Wie der Hans, so das Hänschen: Chancen sind ungleich verteilt

Wer profitierte von der Möglichkeit, auf alternativen Wegen eine Hochschulreife nachzuholen? Schindler nahm zunächst die Personen unter die Lupe, die zum Betrachtungszeitpunkt noch nicht über eine Hochschulreife verfügten. Er zeigte anhand der Interviewdaten der BIBB-Übergangsstudie, dass die Chancen auf das Abitur über alle Bildungsetappen, zum Beispiel beim ersten oder beim höchsten Sekundarabschluss, hinweg ungleich verteilt waren: Unter den Personen, die noch keine Hochschulreife besaßen, zeigten sich immer höhere Nachholquoten bei den Schülerinnen und Schülern aus privilegierten Elternhäusern – und zwar in allen betrachteten Geburtenjahrgängen. Offenbar, so der Wissenschaftler, seien auch solche schulischen Alternativen ein Weg, den elterlichen Status zu erhalten.


Ungleichheit wird in jüngeren Generationen nicht durch nachgeholte Abschlüsse beeinflusst

Anhand verschiedener Geburtenjahrgänge aus allen drei Datensätzen untersuchte Schindler auch, wie sich die Rolle nachgeholter Bildungsabschlüsse für soziale Ungleichheiten bis heute entwickelt hat. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Betrachtet man die gesamten Schülerjahrgänge über den Bildungsverlauf, dann zeigen sich keine (statistisch bedeutsamen) Hinweise darauf, dass durch nachgeholte Studienberechtigungen die Ungleichheit über den Bildungsverlauf zunimmt. Eine tendenzielle Zunahme der sozialen Ungleichheit über den Bildungsverlauf ist – wenn überhaupt – nur für Mitte der 1960er bis Mitte der 1970er geborene Generationen zu verzeichnen. Bei späteren Jahrgängen wird das Ausmaß der Ungleichheit beim Erwerb der Hochschulreife nicht durch nachgeholte Abschlüsse beeinflusst. Schindler nennt zwei Ursachen für diese Entwicklung: Offenbar profitierten tatsächlich mehr privilegierte Kinder der 1970er-Jahre von den damals neuen Möglichkeiten, das Abitur nachzuholen, während sich die Unterschiede im Laufe der Zeit etwas verringerten. Inzwischen setzen viele Arbeitgeber zudem für Ausbildungsberufe das Abitur voraus. Dadurch seien die Anreize zum Nachholen der Hochschulreife auch für Schülerinnen und Schüler aus bildungsferneren Elternhäusern erhöht worden.


Auf die Definition kommt es an

Schindler zeigt auch, warum die Befundlage älterer Bildungsstudien zu diesem Thema so vielfältig ist: Oft würden Ungleichheitsverläufe aus unterschiedlichen Blickwinkeln, zu verschiedenen Zeitpunkten und mit anderen Bezugsgrößen betrachtet, so Schindler. Dabei unterscheiden sich die Befunde je nachdem, ob man speziell die Ungleichheit beim Nachholen von Schulabschlüssen betrachtet, oder ob man untersucht, inwieweit sich nachgeholte Abschlüsse auf die Ungleichheiten insgesamt auswirken.

Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang von Erlangung der Hochschulreife und sozialer Herkunft im Zeitverlauf. Politisch spannend sei nun die Frage, warum Schülerinnen und Schüler aus bildungsferneren Elternhäusern das prinzipiell gut ausgebaute Angebot zum Nachholen von Bildungsabschlüssen nach wie vor vergleichsweise weniger nutzen. Erst wenn es ein genaues Bild der Gründen gibt, können bei den Nachholoptionen wirksamere Maßnahmen für gleiche Bildungschancen geschaffen werden.

Originalliteratur

Schindler, S. (2015). Soziale Ungleichheit im Bildungsverlauf – alte Befunde und neue Schlüsse? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 67(3), 509–537.

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (2016, Dezember): Zweite Bildungschance für alle? Nicht ganz (NEPS Ergebnisse). Bamberg, Deutschland.