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Welche Erkenntnisse liefert die NEPS-Studie?

Zuwanderung und Bildung: zurück auf die Schulbank?

05.01.2017

Unklarheit über den Wert eines ausländischen Abschlusses oder eine fehlende Arbeitserlaubnis – Hürden wie diese können eine Erklärung dafür sein, warum ein Teil der Zugewanderten in Deutschland an Bildungsmaßnahmen teilnehmen, um ihre Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Aber auch die Tätigkeit von Menschen unmittelbar vor ihrer Migration beeinflusst, ob und wie lange sie nach ihrem Zuzug nach Deutschland Aus- oder Fortbildungsangebote in Anspruch nehmen.

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Nicht selten bedeutet die Migration im Bildungs- oder Erwerbsverlauf der Zugewanderten einen Bruch: Eine im Heimatland begonnene Ausbildung kann wegen finanzieller Not in Deutschland nicht fortgesetzt werden; eine Beschäftigung kann nicht auf gleichem Qualifikationsniveau stattfinden, weil Unternehmen in Deutschland ausländische Qualifikationen möglicherweise schlechter einschätzen können als die von einheimischen Bewerberinnen und Bewerbern. Schaffen es die Neuangekommenen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, dann handelt es sich hierbei häufiger um schlecht bezahlte Jobs. Dort haben sie geringere Chancen auf Weiterbildung und Karriere – das zeigen aktuelle Studien. Nicht zuletzt deshalb drücken Zugewanderte in Deutschland häufig zunächst wieder die Schulbank.

Janina Söhn vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) an der Georg-August Universität Göttingen hat untersucht, inwiefern die Bildungs- und Erwerbsverläufe von erwachsenen Zugewanderten nach ihrem Zuzug nach Deutschland bruchlos verlaufen. Dafür wurden die Aktivitäten (insbesondere Bildung, Berufstätigkeit und Pflege von Kindern und Familienangehörigen) unmittelbar vor und während der ersten sechs Jahre nach der Migration untersucht. Die Studie basiert auf Daten der NEPS-Erwachsenenstudie; ausgewertet wurden hierfür Lebensverläufe von 650 Personen, die zwischen 1964 und 2003 als Erwachsene nach Deutschland eingewandert sind. Da die erste Befragung im Jahr 2009 stattfand, ist gewährleistet, dass die Beteiligten mindestens sechs Jahre in Deutschland gelebt haben. Es zeigt sich, dass erwachsene Zugewanderte nach ihrem Zuzug häufig an Bildungsangeboten wie etwa einem Studium, einer beruflichen Ausbildung oder an einer zertifizierten Weiterbildung (beispielsweise als IT-Administrator oder Schweißer) teilnehmen: 32 % begannen einen dieser Bildungsgänge in Deutschland, vorrangig in beruflicher Ausbildung und Kursen mit abschließendem Zertifikat. Ein kleinerer Teil besuchte Universitäten und Fachhochschulen, weiterführende Schulen oder andere Bildungsangebote, etwa solche, die Teilnehmende auf eine berufliche Ausbildung vorbereiten (Übergangssystem). Die Autorin spricht von einer Bildungsphase, wenn diese mindestens einen Monat dauerte und in Vollzeit absolviert wurde.


Erstmals Daten zu Bildungsverläufen vor und nach dem Zuzug


Mithilfe der Daten lassen sich erstmals auch Bildungs- und Erwerbsverläufe von Zugewanderten vor und nach dem Zuzug nach Deutschland verfolgen. Demnach ist die Bildungsbeteiligung vor der Zuwanderung entscheidend für eine mögliche Teilnahme an Bildungsangeboten in Deutschland. Tatsächlich nahmen 67,6 % der Menschen, die sich vor ihrer Zuwanderung in einer Bildungsmaßnahme befanden, auch in Deutschland wieder mindestens einen Monat lang an Bildung teil. Unter den Zugewanderten, die bereits in ihrem Heimatland erwerbstätig waren, ist der Trend umgekehrt: Nur 27,3 % nutzten im Betrachtungszeitraum der Studie Bildungsmöglichkeiten. Auch das Alter spielt eine Rolle: Die höchste Bildungsbeteiligung zeigten diejenigen, die im Alter von 18 bis 24 Jahren zuwanderten.

Die Studie zeigt außerdem, dass Menschen, die vor der Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes an Bildungsmaßnahmen teilnahmen, auch vergleichsweise lange wieder „die Schulbank drücken“: Im Schnitt verbrachten sie 34 Monate in solchen Maßnahmen – fast doppelt so lang wie vorher erwerbstätige Personen (20 Monate).


Rechtsstatus beeinflusst Bildungsbeteiligung von Zugewanderten


Ebenso steht der Rechtsstatus von Zugewanderten bei ihrer Einreise in einem engen Zusammenhang mit dem späteren Bildungsverlauf in Deutschland, denn hier wird unter anderem der Zugang zu Arbeit und Bildung geregelt: Während Asylsuchenden und Flüchtlingen ohnehin kein oder nur ein beschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt wurde, stellte sich die Situation für Aussiedlerinnen und Aussiedler besser dar: Als deutsche Staatsangehörige waren sie formal den Einheimischen gleichgestellt und hatten somit eine höhere Planungssicherheit. Aussiedlerinnen und Aussiedler – mit rund 40 % die größte Gruppe in der Studie – waren mit 38,5 % entsprechend häufiger mindestens einen Monat in Bildungsgängen vertreten als andere Zuwanderergruppen (31,9 %). Überraschend aber: Flüchtlinge nahmen mit 30,4 % häufig und vergleichsweise lange (29 Monate) an Bildungsmaßnahmen teil. Vermutlich konnten sie dies erst, nachdem ihnen der rechtliche Status eines anerkannten Flüchtlings zuerkannt wurde.

Die Ergebnisse zeigen, dass die rechtliche Ungleichbehandlung verschiedener Zuwanderergruppen nach wie vor Diskriminierungspotenziale birgt. Dabei ist auch das dominante Einreisemotiv bedeutsam. Wer nach Deutschland kommt, um zu arbeiten, will und kann stattdessen schlichtweg erst einmal keine Ausbildung absolvieren.

Originalliteratur

Söhn, J. (2016). Back to school in a new country? The educational participation of adult immigrants in a life-course perspective. Journal of International Migration and Integration, 17(1), 193–214.

Zitierhinweis

Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V. (2016, November): Zuwanderung und Bildung: Zurück auf die Schulbank? (NEPS Ergebnisse). Bamberg, Deutschland.